Hamburg Peak

Als ich vor fast 25 Jahren in Hannover mir einen neuen Job samt Lebensmittelpunkt suchen können durfte, habe ich aus meinem  Altbestand den alten brauen Diercke Weltatlas auf den Teppich des Wohnzimmers gelegt, die Doppelseite Mitteleuropa aufgeschlagen und bin mit dem Finger im weiten Kreis um Hannover herum gefahren.

Begegnung am Afrikahöft , Aufnahme M.Schumacher, 2019

Im Osten passierte nichts, im an sich reizvollen Süden ließ die Aussicht morgens und abends gegen Berge  ansehen zu müssen die Depressionsanzeige ausschlagen, in westliche Richtungen dagegen stieg die Laune auf gut, von Nordwesten bis Norden sogar auf hervorragend.  Einen Peak spürte ich, als ich mit dem Finger über Hamburg fuhr.

Also das Hamburger Abendblatt gekauft. Drei Monate später hatte ich den letzten Job vor meiner Rente angetreten.

Wer ist schon frei in seinen Entscheidungen. Mein Vater musste, konnte und durfte in den Emder Hafen fahren. Oft bin ich dabei gewesen. Emder meines Alters und älter sind mit den  intensiven vor allem des Nächtens wahrgenommenen Arbeitsgeräuschen des Hafens aufgewachsen.

[Hätte ich Kinder, bestünde mein Anteil an ihren (natürlich maßstabsgerechten) Talenten vermutlich darin, schwere Steine in stählerne Hohlräume zu schmeißen, Waggons ratternd zusammenzuschieben, trockene  Umlenkrollen quietschen zu lassen und ausgefranste Basstöne woimmerauchmit  zu erzeugen. Denke ich zumindest.]

Mein Vater hatte mich damals an einem Sonntag mit zu einer Matinee ins Apollo genommen. Es lief ein Film über den Hamburger Hafen. Der Film zeigte eine faszinierende Quirligkeit und Dichte. Das große Hamburg! Überall Aufbruch und Schiffe und Waren ferner Länder und einfache Menschen mittendrin. Es hatte mich tief beeindruckt. Das hatte ich auf dem Teppich wieder gefunden. Das war der Peak. Mein kleines Stück große Freiheit bei der Ortswahl.

Die obige Aufnahme zeigt ein Schiff an einem Wintermorgen, das auf der Norderelbe vor dem Afrikahöft (zwischen Südwest- und Hansahafen) gewendet wird. Heute gibt es von der damaligen Lebendigkeit nur noch museale Erinnerungen, Bücher, Bilder, Straßennamen und sonstige archäologische Spuren. Manchmal aber scheint man der alten Dichte – für Momente wenigstens – wieder zu begegnen.